Sonntag, 23. Januar 2011

Kritik des Sarrazin-Buches III: Demografie, Globalisierung und Realeinkommen

Schon in der Einleitung (S. 8) verbreitet Sarrazin den Mythos, das durchschnittliche Realeinkommen der deutschen Beschäftigten müsse künftig wegen der demografischen Entwicklung sinken. Auf S. 12 nennt er als weiteren Grund, in der globalisierten Welt nähere sich die "Entlohnung des Produktionsfaktors Arbeit" einem weltweiten Durchschnittswert an, der naturgemäß unter dem gewohnten deutschen Niveau liege. Beide Argumente sind nicht stichhaltig.

Stéphane Hessel, der französische Anti-Sarrazin

Der Journalist Jakob Augstein hat in der Spiegel-Online-Kolumne S.P.O.N. das merkwürdige Phänomen aufgespießt, dass
  • in Frankreich das Buch eines ehemaligen Résistance-Kämpfers und Buchenwald-Häftlings (Stéphane Hessel, Sohn des deutschen Schriftstellers und Emigranten Franz Hessel) für Aufregung sorgt, das fordert, "die gerechte Verteilung der Früchte der Arbeit soll wichtiger sein als die Macht des Geldes", und sich empört über "diese Gesellschaft der rechtlosen Ausländer, der Abschiebungen und des Generalverdachts gegenüber den Einwanderern..."
  • in Deutschland dagegen ein Buch zum bestverkauften Sachbuch aller Zeiten zu werden droht, in dem sich ein reicher Bankier darüber empört, dass arme Menschen Kinder kriegen, ohne vorher Mathematik studiert zu haben.
Was sagt das über die beiden Länder aus? Augstein stellt fest: Seine deutschen Kollegen haben erhebliche Schwierigkeiten mit dem demokratischen Pathos eines Mannes, der Dinge sagt wie: "Ich wünsche jedem Einzelnen von Ihnen einen Grund zur Empörung. Das ist sehr wertvoll. Wenn etwas Sie empört, wie mich die Nazis empört haben, werden Sie kämpferisch, stark und engagiert."

Montag, 17. Januar 2011

Kritik des Sarrazin-Buches II: Parallelen zum Antisemitismus

Der Historiker Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, hat in einem ZEIT-Interview auf deutliche Parallelen zwischen dem Antiislamismus heutiger Prägung, namentlich dem von Thilo Sarrazin, und dem deutschen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts hingewiesen - obwohl die ZEIT-Journalisten den Vergleich problematisch fanden.