Sonntag, 23. Januar 2011

Kritik des Sarrazin-Buches III: Demografie, Globalisierung und Realeinkommen

Schon in der Einleitung (S. 8) verbreitet Sarrazin den Mythos, das durchschnittliche Realeinkommen der deutschen Beschäftigten müsse künftig wegen der demografischen Entwicklung sinken. Auf S. 12 nennt er als weiteren Grund, in der globalisierten Welt nähere sich die "Entlohnung des Produktionsfaktors Arbeit" einem weltweiten Durchschnittswert an, der naturgemäß unter dem gewohnten deutschen Niveau liege. Beide Argumente sind nicht stichhaltig.


Wenn die Bevölkerung in Deutschland abnimmt, die Produktion von Waren und Dienstleistungen aber gleich hoch bleibt oder sogar noch wächst, bedeutet das zunächst, dass das berühmte Kuchenstück für jeden einzelnen größer wird und nicht kleiner. Die Löhne und Gehälter (die nichts anderes sind als Anrechte auf ein Kuchenstück bestimmter Größe) können also steigen. Daran ändert auch der größer werdende Bevölkerungsanteil der Rentner nichts. 

Auch in der pessimistischen Variante seiner Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung bis 2050 (S. 35-37) geht Sarrazin davon aus, dass das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (also das Kuchenstück) um voraussichtlich 36 % anwachsen wird.

Wenn die Reallöhne dennoch stagnieren oder sogar sinken, hat das mit der demografischen Entwicklung nichts zu tun. Es hängt vielmehr damit zusammen, dass der Anteil der Gewinne aus Unternehmertätigkeit und Vermögen am Volkseinkommen immer weiter anwächst, oder anders gesagt: dass die Unternehmer und Reichen einen immer größeren Teil des Kuchens für sich alleine haben wollen. Einer der Gierschlünde heißt Thilo Sarrazin.

Auch das Globalisierungs-Argument sticht nicht. Denn wenn gemeinsame Märkte zu einer tendenziellen Angleichung der Einkommen führen würden, dann müssten sich zunächst die Einkommen innerhalb Deutschlands aneinander angleichen. In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall: Die Einkommen in Deutschland entwickeln sich immer weiter auseinander. Ein und dieselbe Tätigkeit wird völlig unterschiedlich entlohnt, wenn sie in einer Chefetage, einer Fabrikhalle oder einem Ladengeschäft stattfindet; in einem Chemiekonzern oder in einem Altenheim; wenn der Tätige ein Mann mit Doktortitel oder eine Frau mit türkischem Namen und ohne Abitur ist. Das gilt natürlich erst recht, sobald sich die Art der Tätigkeiten auch nur geringfügig unterscheiden.

Auch den "Welteinheitszins", den Sarrazin auf S. 12 konstruiert, gibt es nicht. In Wirklichkeit sind die Renditen verschiedener Formen von Geldanlagen extrem unterschiedlich und schwanken bekanntlich dermaßen stark, dass von einem Einheitszins keine Rede sein kann.

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