Mittwoch, 22. Oktober 2014

2004: Die Mörder von Madrid und ihre faschistischen Wurzeln

Vor zehn Jahren veröffentlichte ich diesen Kommentar zu den Madrider Zuganschlägen vom 11. März 2004:
Die da den Tod lieben: Auch Pazifisten haben Feinde. Konsequenzen nach dem Massenmord von Madrid
»Ihr liebt das Leben, und wir lieben den Tod.« Das hat ein angeblicher Sprecher der Al-Qaida-Terroristen auf einem Video gesagt, auf dem er sich zum Massenmord von Madrid bekannte. Eine ganz ähnliche Botschaft der Hamas über den entscheidenden Unterschied zwischen israelischen Busfahrgästen und palästinensischen Bombenmördern konnten wir bereits vor einigen Monaten lesen. Es ist an der Zeit, dass sich deutsche und europäische Pazifisten Gedanken darüber machen, wer ihre derzeit übelsten Feinde sind.



Endlich ist die Erkenntnis auch in liberalen und friedliebenden Kreisen angekommen, zum Beispiel in der ZEIT vom xx. März 2004: Wir haben es hier mit faschistischen Massenmördern zu tun, die den Naziverbrechern in nichts nachstehen. Ihre erklärte Liebe zum Tod wurzelt unmittelbar im europäischen, namentlich – welch’ blutige Ironie der Geschichte – im spanischen Faschismus der 1930er Jahre, dessen Vorkämpfer damals die Parole »Viva la muerte! – Es lebe der Tod!« pflegten. Erich Fromm nannte diese Haltung in seinem Buch »Anatomie der menschlichen Destruktivität« nekrophil, und der »klinische Fall eines nekrophilen Charakters«, den er dort analysiert, ist Adolf Hitler.
Nur wenige in unseren Kreisen haben bislang über die auffällige Parallele zwischen den sog. Selbstmordattentätern und den japanischen Kamikazepiloten des II. Weltkriegsnachgedacht. Es wird höchste Zeit! Joseph Croitoru hat in seinem Buch »Der Märtyrer als Waffe« darauf hingewiesen, dass das erste »Selbstmordattentat« in Israel 1972 von drei Japanern verübt worden ist. Hier liegt also eine weitere historische Wurzel. Das äußerst militaristische und rassistische japanische Kaiserreich war im II. Weltkrieg mit Nazideutschland verbündet und hat in China, namentlich in Nanking, zahllose Massaker verübt, die typischen Nazimassa­kern (Babij Jar, Lidice usw.) gleichen wie ein Ei dem anderen.

Als italienische Neofaschisten 1980 den Bahnhof von Bologna in die Luft sprengten und 80 Menschen töteten, gab es einen starken Konsens in der Einschätzung dieser Tat als typisch faschistischen Massenmord. Linksextreme Terroristen, so sagte man damals, ermorden einzelne Machthaber und Funktionsträger, allenfalls noch Soldaten und Polizisten, aber niemals wahllose Passanten. Faschisten dagegen tun genau so etwas. Ich halte diese Einschätzung nach wie vor für richtig. An den Taten kann man erkennen, ob die Täter von sozialrevolutionären oder von faschistischen Motiven getrieben sind.

Das Gedankengut der Islamfaschisten geht weitgehend auf den Ägypter Sajjid Qutb (1906-1966) zurück, den ideologischen Stammvater der »Muslimbruderschaft«. Qutb (sprich: Kutúb) wollte eine »muslimische Gemeinschaft« wiederherstellen, die angeblich 622-661 in Medina bestanden habe, eine unauflösliche Einheit von Regierenden und Regierten, die nach dem »göttlichen Gesetz« in Harmonie zusammenleben, zusammen­arbeiten und »Gehorsam« nur Gott schulden; man könnte auch sagen: eine Volks- und Glaubensgemeinschaft. Diesen übermächtigen Wunsch nach totaler Harmonie und Gemeinschaft übernahm Qutb ausdrücklich von dem französisch-katholischen Funda­mentalisten AlexisCarrel (1873-1944) [nach Rudolf Walther: Die seltsamen Lehren des Doktor Carrel. Die Zeit 31.7.2003]. Die »Volksgemeinschaft« der Nazis, ihr gebetsmühlenhaft gepredigter »Glaube« an den »Führer« und seine göttliche »Vorsehung« - eine weitere Ausprägung des gleichen abscheulichen Grundgedankens.

Es ist Zeit, die gerade in linksliberalen und pazifistischen Kreisen übliche Verharmlosung der Massenmörder unserer Zeit als verirrte »Märtyrer«, die eigentlich das Richtige wollen, nur leider falsche Mittel dafür einsetzen, als schlimme Fehleinschätzung zu verabschieden.  Sie wollen keineswegs das Richtige (siehe Qutb). Auch der Begriff »Sebstmordattentäter« führt in die Irre, da er verschweigt, dass es sich in erster Linie um Mörder handelt, um Massenmörder. Den Opfern ist es gleichgültig, ob der Täter die Tat überlebt hat oder nicht. Insofern ist das Attribut »Selbstmord-« von sekundärer Bedeutung. »Attentäter« ist ebenfalls irreführend, denn unter einem Attentäter stellt man sich zunächst jemanden vor, der eine einzelne Person ermordet hat: den Papst-Attentäter, den Kennedy-Attentäter, den King-Attentäter, den Gandhi-Attentäter. Die Mörder, von denen wir jetzt sprechen, haben aber Hunderte von Menschen getötet und Tausende ins Elend gestürzt.
Das Bild ist ein wenig jämmerlich, wenn erst 200 Westeuropäer in Westeuropa sterben müssen, ehe sich diese Erkenntnis in Europa durchsetzt. Die vielen tausend toten Israelis, Algerier, Kenianer, Argentinier, Amerikaner, Russen, Iraker hatten nicht genügt.
Gut, was folgt nun daraus? Was ist zu tun?
Jeder, der jetzt noch mitten unter uns Verständnis für arabische, tschetschenische und andere Massenmörder äußert, muss bitteschön sofort auf den entschiedenen Widerspruch mehrerer anwesender Menschen stoßen. Das ist das Mindeste, zu dem wir uns verpflichten müssen. Es geht nicht mehr hin, dass wir solches Gerede schweigend hinnehmen. Schluss mit der Feigheit, mag sie sich auf »die neue Unübersichtlichkeit«, »die Dekonstruktion aller Werte« oder die heilige »kulturellen Vielfalt« berufen!
Die andere Botschaft der Al-Qaida ist noch merkwürdiger. Sie sagen zu uns: »Ihr liebt das Leben.« Erich Fromm nannte diese Haltung biophil und gründete darauf seine ganze Hoffnung auf eine bessere Welt. Die Mörder haben uns ein Kompliment gemacht, auf das wir stolz sein können. Ja, wir lieben das Leben – und das ist gut so! Stärken wir das gegen das Böse, z. B. gegen den ekelhaften Gewalt- und Todeskult in unseren Kinos. Wenn unsere Liebe zum Leben uns nicht am Ende stärker macht als die Todesfreunde, dann wäre der ganze Pazifismus doch das Papier nicht wert, auf dem er sich zu verewigen pflegt.

Toni Kalverbenden

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