Freitag, 3. Februar 2017

Deutschland 1919: Die Dolchstoßlegende

Die Dolchstoßlegende oder Dolchstoßlüge bezieht sich auf das Ende des Ersten Weltkriegs 1918. Ihre Anhänger behaupteten ab 1919, der Krieg sei aus deutscher Sicht nicht militärisch verloren worden, sondern nur deshalb, weil kommunistische Revolutionäre im Innern Deutschlands, z. B. in den Munitionsfabriken, die Frontsoldaten "von hinten erdolcht" hätten. Gemeint war damit, sie hätten sie z. B. vom Nachschub abgeschnitten. Diese Version der Geschichte war eine Lüge.

In Wirklichkeit hatte das deutsche Militär im August 1918 so schwere Niederlagen erlitten, dass die Oberste Heeresleitung (Paul von Hindenburg, Erich Ludendorff) fürchteten, die Fronten könnten jeden Moment zusammenbrechen. Deshalb drängte Ludendorff im September 1918 die Regierung darauf, sofort Waffenstillstandsverhandlungen mit Frankreich, England und USA zu führen. Auch drängte er darauf, dass eine parlamentarische Regierung aus Vertretern der Parteien SPD, Zentrum und Liberalen gebildet wurde. Er wollte nämlich, dass diese Parteien die Verantwortung für die deutsche Niederlage und die schwierigen Verhandlungen übernehmen, und dass er selbst und seine Offiziere da herausgehalten wurden. So wurde es auch gemacht; es war der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, der am 11. November 1918 den Waffenstillstand von Compiègne unterschrieb, und nicht ein Offizier, wie es sich gehört hätte. Er tat das auf ausdrückliche Anweisung von Paul von Hindenburg.

Ein Jahr später, im Herbst 1919, erfanden Hindenburg und Ludendorff dann die Dolchstoßlegende. Sie behaupteten, militärisch hätten sie 1918 den Krieg weiterführen können, wenn es nicht die bösen Revolutionäre in den Fabriken gegeben hätte, die dort Streiks organisierten. Es stimmt zwar, dass es dort Streiks gab, vor allem im Januar 1918. Aber die kamen von der großen Not, die die Arbeiter und Arbeiterinnen nach vier Jahren Krieg und Hunger leiden mussten, und die immer unerträglicher geworden war. Auch ist nachgewiesen, dass viele Frontsoldaten extrem kriegsmüde waren und immer wieder kurz vor Meutereien standen. Es war also gelogen, wenn die Offiziere behaupteten, sie hätten mit den Soldaten weiterkämpfen können. Die Soldaten hätten ihnen was gehustet, genau wie die Munitionsarbeiter. Vor allem aber wollten Hindenburg und Ludendorff davon ablenken, dass sie selbst als Oberste Heeresleitung Deutschland in die militärische Niederlage manövriert hatten.

Matthias Erzberger wurde von Deutschnationalen, Faschisten und Nazis als "Novemberverbrecher" verleumdet, weil er am 11. November 1918 für Ludendorff die Kohlen aus dem Feuer geholt hatte. Ludendorff unterstützte diese Lügen, was ein übler Verrat war. 1921 wurde Erzberger von Faschisten ermordet. Die deutschnationale Presse, also die Vertreter der Dolchstoßlegende, verteidigte den Mord.

Dieser Text entstand im Februar 2017 als Antwort auf eine Frage in gutefrage.net

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen